Sarah Bender (geb. Bories)
(Univ. Leipzig)
Status: Dissertation, geplanter Abschluss: 2021
Das moderne Gewissen entsteht zwischen Reformation und Aufklärung. Obwohl auch der älteren Vergangenheit der Gewissensgeschichte Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, ist die Bedeutung von Gewissensdiskursen während des 15. Jahrhunderts noch kaum in den Blick genommen worden. Doch noch bevor sich der Begriff „Gewissen“ mit Luthers Bibelübersetzung durchsetzt, werden das Gewissen und seine ethischen Implikationen wiederholt sowohl in religiösen und theologischen als auch in weltlichen Texten thematisiert – dadurch kann schon für das Mittelalter nach ethischer Verantwortung und Einflussmöglichkeiten von Literatur gefragt werden, eine Debatte, die noch heute wiederholt aktualisiert wird.
Zentrum meines Dissertationsvorhabens ist eine Relektüre mittelalterlicher Texte im Sinne eines solchen „ethical turns“ und die Frage nach der möglichen Einflussnahme von Texten auf ihre Rezipienten. So werden etwa Gewissensbefragung und Gewissensberuhigung zu in der Beicht- und Bußliteratur verhandelten Themen, in deren Kontext auch der für meine Arbeit zentrale Text "Des Teufels Netz" anzusiedeln ist. Die anonyme Überlieferung von 1441 weist einerseits inhaltliche Überschneidungen mit Werken der Beichtliteratur und mit zeitgenössischen Gewissenskonzepten auf, und gehört andererseits zu den Werken, die Ängste, Sorgen und Moralvorstellungen der damaligen Gesellschaft am aussagekräftigsten widerspiegeln: Bilder und Texte über den Teufel.
An diese Analyse anschließend werde ich im 15. Jahrhundert verhandelte Gewissensdiskurse und intratextuelle Strategien der narrativen Ethik erarbeiten, die ich abschließend an weiteren Texten des 15. und 16. Jahrhunderts verifiziere. Ausgehend von der sowohl zeitlosen als auch interdisziplinären Frage nach dem „ethical turn“ wird die Aufarbeitung der Gewissensbedeutung für das 15. Jahrhundert neben germanistischen Ansätzen auch theologische, soziologische und ethische Fragestellungen berücksichtigen.