Anna-Lena Liebermann
(Univ. Gießen)
Status: Dissertation, geplanter Abschluss: 2014
http://cultdoc.uni-giessen.de/wps/pgn/ep/cultdoc/annalenaliebermann/anna-lena-liebermann
Das im Folgenden skizzierte Projekt einer motivischen Untersuchung des ‚Rappoltsteiner Parzifal‘ beschäftigt sich mit einem noch wenig erforschten Text der mittelhochdeutschen Literatur.
Als Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ist eine Motivbetrachtung geplant. Der ‚Rappoltsteiner Parzifal‘ bietet eine Fülle an Motivbrüchen. Die Mabonagrin-Figur aus Hartmanns ‚Erec‘ findet Eingang in den Text, sowie eine Wahnsinns-Episode, wie aus Hartmanns ‚Iwein‘ bekannt und eine Bracken-Episode, bekannt aus Wolframs ‚Parzival‘ und ‚Titurel‘, um nur wenige Bespiele zu nennen. Auffallend bei der Übernahme solcher klassischen Motive ist die gleichzeitige Abwandlung dieser. So ändert sich das Personal, der Kontext und daraus resultierend der semantische Inhalt dieser Episoden. Dem zeitgenössischen gebildeten Rezipienten des ‚Rappoltsteiner Parzifals‘ kann man die Kenntnis dieser motivgebenden Klassiker sicherlich unterstellen.
Die Analyse dieses hypothetischen Durchspielens von Ordnungsverschiebungen im fiktionalen Raum kann grundlegende Erkenntnisse zur literarischen Bewältigung von Umbruchsituationen und von Verunsicherungen des Weltbilds im 14. Jahrhundert liefern.
Auch raumtheoretisch stellt der ‚Rappoltsteiner Parzifal‘ eine Neuerung zum klassischen Raumkonzept des Artusromans dar. In Wolframs ‚Parzival‘ ist dieses sinnstiftend und dient der Veranschaulichung von Zusammenhängen. Wolfram definiert Orte und Landschaften, um eine Landkarte zu erschaffen, die dem Rezipienten ein Nachvollziehen der Handlung erleichtert. Lediglich die Lokalisation der Gralsburg bleibt als mythisches Reich von einer Lokalisierung unberührt.
Im ‚Rappoltsteiner Parzifal‘ wird eben dieses für die klassischen Artusromane festgelegte raumtheoretische Konzept bewusst gebrochen. Es lässt sich eine massive Verschiebung verschiedener Räume erkennen. Parzivals Heimat Soltane, das Artusreich und das Gralsreich, bei Wolfram stets klar voneinander abgegrenzte Reiche, verschieben sich im ‚Rappoltsteiner Parzifal‘ ineinander. Klar vorgezeichnete Wege werden verlassen und religiös determinierte Räume erfahren eine Auflösung und Kontamination mit dem Teufel. Wirkungsästhetisch erfährt der Rezipient an diesen Stellen eine massive Verunsicherung durch die Auflösung alles Sichergeglaubten.
Kulturwissenschaftlich ist eine solche Studie gerade dahingehend interessant, da der Text in einer Phase des Umbruchs vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit entstand und die historischen Begebenheiten einer solchen Veränderung narrativ widerspiegelt. Zudem eröffnet die Untersuchung dem Leser Einsicht in einen innovativen Umgang mit bereits lange vorhandener Motivik, wie beispielsweise der Lust am Spiel mit Verunsicherung und der Provokation.