Literatur und Gebet. Mittelhochdeutsche Tagzeitentexte im Spannungsfeld von Liturgie, privater Andacht und Kunstanspruch

Stefan Matter

(Univ. Freiburg/Schweiz)

Status: Sonstiges Projekt, geplanter Abschluss: 2016

http://p3.snf.ch/project-139597

Das lateinische Stundengebet des regulierten Klerus, dessen Texte ab dem hohen Mittelalter im Brevier versammelt wurden, breitete sich schon im 14. Jahrhundert in paraliturgischen Formen in weitere Kreise aus und fand hauptsächlich im Stundenbuch seinen Niederschlag. An diese Tradition schliessen in einer noch nicht näher bekannten Weise die mittelhochdeutschen Tagzeitentexte an. Bei ihnen handelt es sich um Texte unterschiedlichen Umfangs in Vers und Prosa, die nach den Horen des Stundengebetes (Matutin, Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper, Komplet) in Strophen beziehungsweise Abschnitte gegliedert sind. Die einzelnen Horen werden dabei mit Stationen des Leidensweges Christi, des Mitleidens Mariae oder mit anderen Betrachtungsgegenständen in Beziehung gebracht.

Mein Frageinteresse konzentriert sich zum einen auf eine Zusammenstellung und literaturwissenschaftliche Typologisierung der überlieferten Tagzeitentexte. Interessant scheinen mir die Tagzeitentexte darüber hinaus aber auch deshalb, weil sich an sie Fragen nach ihrem Sitz im Leben, ihrer Stellung in und zu der Liturgie, nach ihrem Verhältnis zum Stundenbuch sowie nach ihrer Bedeutung für spezifische Gruppen wie religiöse Laien, Novizen und Nonnen stellen lassen. Auf diese Weise ergibt sich die Möglichkeit, von einer sehr breit überlieferten Textsorte her in exemplarischer Weise zentrale Aspekte der spätmittelalterlichen Frömmigkeitspraxis zu erschliessen und zu untersuchen. In den Blick geraten dabei vor allem verschiedene Formen der textgestützten, privaten Andacht während oder neben der Liturgie.

Es lassen sich damit beim derzeitigen Stand der Forschung drei Ziele der Arbeit formulieren: Einerseits soll auf eine genauere Kenntnis der deutschsprachigen Andachtsliteratur aus der noch kaum überblickbaren Masse von Andachts- und Gebetbüchern selbst hingearbeitet werden, indem eine klar abgrenzbare Gruppe von einschlägigen Texten systematisiert und der weiteren Forschung zugänglich gemacht wird. Andererseits geht es um eine literaturgeschichtliche Einordnung der zu diesem Zweck exemplarisch untersuchten Tagzeitentexte in Vers und Prosa. Eine dritte Zielsetzung greift über die literaturwissenschaftlichen Fachgrenzen hinaus und will in interdisziplinärer Weise – unter Heranziehung von Erkenntnissen namentlich der Geschichts- und Liturgiewissenschaft, aber auch weiterer theologischer Disziplinen und der Kunstgeschichte – mögliche Gebrauchszusammenhänge für Tagzeitentexte und verwandte Texte erschliessen.