Sabine Seelbach
(Alpen Adria Universität Klagenfurt)
Status: Sonstiges Projekt, geplanter Abschluss:
http://www.uni-klu.ac.at/germ/inhalt/977.htm
Kilian von Meiningen: Die Legende der heiligen Hedwig
Zweisprachige Ausgabe nach Codex Schleusingen G 189
Im Vergleich mit der Überlieferung und gebrauchsorientierten Diversifizierung etwa der Legende der heiligen Elisabeth hat die Vita ihrer Mutterschwester Hedwig von Schlesien bislang lediglich das sporadische Interesse von Geschichtswissenschaft, Theologie und Volkskunde geweckt. Dies erklärt sich dadurch, dass die heilige Hedwig als Brückenfigur der Geschichte dreier Länder (Deutschlands, Österreichs und Polens) vom ausgehenden Mittelalter bis in die Gegenwart in erster Linie von politischem und praktisch religiösem Interesse gewesen ist. Während die Andechs-Meranierin im Laufe des 14.-15. Jahrhunderts über das Prinzip der Geblütsheiligkeit von gleich vier europäischen Adelsgeschlechtern (Piasten, Habsburg, Öttingen, Henneberg) im Sinne ihrer legitimatorischen Ansprüche instrumentalisiert wurde, während sie in der Frühen Neuzeit in Glaubenskämpfe eingebunden war und an der Schwelle zum industriellen Zeitalter zur Leitfigur einer ethisch ausgerichteten Modernekritik wurde, so hat sie im 20./21. Jahrhundert einschließlich des Pontifikats Johannes Pauls II. vor allem als Symbolgestalt der Völkerverständigung , insbesondere zwischen Deutschen und Polen, fungiert. Daneben entwickelte sich seit den Lebzeiten Hedwigs ein bis heute lebendiger Kultus der Verehrung und Fürbitte, der der Legende bis in die Gegenwart hinein eine nicht unbeträchtliche Leserschaft sichert.
Der langen Geschichte unterschiedlichster politischer Inanspruchnahmen der Hedwigsfigur ist es geschuldet, dass sich das wissenschaftliche Interesse bislang auf diese thematische Relevanz des Stoffes konzentrierte und geschichtsorientierte Zugänge begünstigte. Die Literaturwissenschaft hat sich dagegen nur in allerersten Ansätzen mit diesem Text beschäftigt.
Einer wünschenswerten breiteren wissenschaftlichen Analyse des Textes stand bisher vor allem seine ungünstige Editionslage entgegen. Die Faksimile-Ausgaben sowohl des lateinischen Originals (Braunfels 1972) als auch der spätesten deutschen Voll-Übersetzung Breslau 1451 (Ehlert 2000) erschienen lediglich als teure Prachtkodizes in limitierten Auflagen. Die erste deutsche Übersetzung von Rudolf Wintnauer (1381) wurde als diplomatischer Abdruck (Peters 2003) ohne Übersetzung publiziert. Durch die starke syntaktische Anlehnung Wintnauers an die lateinische Ausgangssprache gemäß den Prinzipien der Wiener Übersetzerschule wird die Rezeption des Texts eher erschwert als erleichtert.
Die hier geplante Edition der bislang von der Forschung unbeachteten fränkischen Übersetzung der Legende nach dem Codex Schleusingen G 189, die in der historischen Chronologie als zweite deutsche Voll-Übersetzung im Jahr 1424 von dem Franziskaner Kilian von Meiningen abgeschlossen wurde und in großen Zügen viel stärker zielsprachlich orientiert ist, soll zwei wesentliche Ziele erreichen. 1. Sie soll die deutsche Hedwigslegende erstmals einem breiten Rezipientenkreis zugänglich machen. Durch Beigabe einer neuhochdeutschen Übersetzung und eines Stellenkommentars soll der Text sowohl für interessierte Laien als auch für den akademischen Unterricht nutzbar werden. 2. Durch die Beschränkung normalisierender Eingriffe in die Textgestalt soll der Originaltext aber in einer Form geboten werden, die seine wissenschaftliche Auswertung sowohl in sprachhistorischer als auch literarischer Perspektive ermöglicht. Davon können darüber hinaus auch neue Anstöße für die Philologie der Gattung Legende erwartet werden.